Die Mitwirkung der Nutzer bei der Gestaltung ihrer unmittelbaren Umgebung wird immer wichtiger. Das Urteil der Bewohner will ernst genommen werden. Eine umfassende Information über Planungen ist das eine. Die Mitglieder einer Wohnprojektinitiative aufrichtig mitzunehmen und einzubinden in den Entwicklungsprozess ist die andere Seite. Und das ist eine sportliche Aufgabe.

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„Wir Planer wissen, was Bewohner wünschen: höher, größer, luxuriöser.“

Falsch.

Es geht um Atmosphäre. Behaglichkeit. Räume, die Geborgenheit vermitteln. Sie sollen hell sein und doch auch ein kuschliges Nest. Und größer? Naja, damit der Kram Platz hat, von dem die Möbelhersteller uns Glauben machen, dass wir sie dringend brauchen. Wer hat denn das letzte Mal wirklich mit seinen sechs Gästen auf der ausladenden Sofalandschaft einen unterhaltsamen Abend verbracht? Oder mit den beiden Kindern, Ehepartner und HundKatzeMaus einen Filmabend auf selbigem verlebt?

Was ist wirklich Luxus: Eine Wohnung aus Materialien, die in Würde altern oder eine Haustür, die mich am Mobiltelefon erkennt?

Damit wir auf die Frage nach Bedürfnissen verwertbare Antworten bekommen, müssen wir den Nutzer zunächst auf einen gewissen Kenntnisstand bringen.

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„Gemeinschaftlich planen ist kompliziert und nicht effektiv.“

Im Gegenteil.

Hier stellen wir den Entwurfsprozess vom Kopf endlich auf die Füße. Der entwerfende Architekt hat in der vergangenen Zeit im stillen Kämmerlein entworfen. Im besten Fall war er gründlich ausgebildet, ein guter Beobachter und in der Lage, eigene Erfahrungen zu reflektieren. Mit diesen Fähigkeiten versuchte der Planer mal mehr mal weniger erfolgreich perfekte Lösungen für die Aufgabe zu finden.

Inzwischen wissen wir, dass es unsere Aufgabe ist, die passendste Lösung zu finden: Eine Entscheidung für den besten Kompromiss.

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„Menschen begeistern sich gerne und schnell für ultramoderne Technik.“

Mhmm.

Aber es gibt einen eklatanten Unterschied zwischen meinem Auto, meinem Computer und meinem Haus. Für das Auto gibt es eine Bedienungsanleitung, die jährliche Wartung und für alle Fälle ein rotes Lämpchen. Für meinen Computer gibt es eine Bedienungsanleitung, Garantieleistungen oder  den Mülleimer. Für mein Haus mit selbstständig denkender Heizzentrale, automatisch schließenden Fenstern, ferngesteuerter Haustür, internetgestütztem Kühlschrank und sensorbetriebenen Lampen gibt es: – Nichts. Oder hat schon mal jemand eine Bedienungsanleitung für Dachrinnen, Duschablauf oder Drainnage bekommen?

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„Das kostet uns zuviel Zeit und die haben wir nicht.“

Ja und Nein.

Es kostet unfassbar viel Zeit. Und wir sollten sie uns nehmen. Gute Entwürfe sind sie wert.

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„Diese vielen Wünsche lassen sich nicht finanzieren.“

Mal sehen…

Um Sehnsüchte und Bedürfnisse der einzelnen Beteiligten kennenzulernen setzen wir uns gemeinsam an einen Runden Tisch. Mit wohlwollender Aufmerksamkeit und der Fähigkeit, das Wesentliche zu erkennen sind wir dann in der Lage die „Wünsche“ zu analysieren. Um was geht es wirklich? Das Schwimmbad auf dem Dach steht doch eigentlich für etwas anderes… Tatsächlich steht auf der Wunschliste eher: visuelle und akustische Ruhe, Rückzugsmöglichkeiten, nette Nachbarn oder ehrenamtliches Engagement.

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„Atmosphäre können die Bewohner mit ihrer persönlichen Gestaltung des Innenraums selbst schaffen.“

Ach, wirklich?

Naja, ein wirklich guter Inneneinrichter holt natürlich auch aus der entsetzlichsten Situation noch eine ganze Menge raus. Aber der ist halt Experte, der muss das können.

Tatsächlich ist Atmosphäre eine ganz persönliche und individuelle Erfahrung. Und sie ist extrem sinnlich. Die Architektur kann diese Verführung ermöglichen: In Kirchen, Shoppingmalls oder Restaurants klappt das ja auch ganz gut.

Offensichtlich hilft es, in der Planungsphase 0 genauer hinzuhören! Wenn Planer dem Laien eine  Beteiligung an einem anschaulichen Planungsprozess ermöglichen,  allgemeine Wohnungsbaustrukturen aufgeben zugunsten einer  Orientierung am echten Bedarf – dann gelingen Räume, in denen sich Bewohner entfalten können.


„Man kann mit einer Wohnung einen Menschen genauso töten wie mit einer Axt.“

Heinrich Zille (1858 – 1929), Berliner Zeichner und Fotograf


 

Astrid Engel