Giesela Möres ist eine der Lokomotiven des Vereins „Anders wohnen – anders leben“ in Hameln. Als Frau der ersten Stunde kennt sie die Höhen und Tiefen, die Baugruppen durchleben – von der ersten Idee zu einem Nachbarschaftshaus bis zur Umsetzung des Projekts. Frau Möres hat ihre Erfahrungen in einem Bericht zusammengefasst, den sie uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Vielen Dank dafür! Der Bericht ist spannend zu lesen und gibt einen sehr guten, praxisorientierten Einblick in das, was auf Baugruppen zukommen kann, die noch ganz am Anfang ihres Nachbarschaftshauses stehen. Hier ist Gisela Möres‘ Bericht:


 Wie alles beginnt: Unsere Gründung der Initiative

Mit Freunden und Bekannten hatten wir schon so häufig darüber gesprochen: Wir sorgten uns über unsere Lebenssituation im Alter. Familien mit einem funktionierenden Hilfesystem werden immer seltener. Selbst wenn Kinder dazugehören, sind sie wegen der erforderlichen beruflichen Mobilität oft nicht vor Ort.

Die Anzahl der alleinlebenden Menschen nimmt seit Jahren zu. Es muß doch möglich sein, andere Menschen zu finden, die auch nicht warten wollen, bis „es“ soweit ist, sondern etwas tun wollen, um ihre Vorstellungen von einem erfüllten Leben bis ins hohe Alter zu verwirklichen:

  • die mit den vertrauten Menschen zusammen in einer Hausgemeinschaft leben wollen
  • die in freiwilliger Verantwortung zu Nachbarschaftshilfe und gegenseitiger Unterstützung bereit sind
  • die die Gestaltung ihrer Wohn- und Lebensräume selbst bestimmen wollen
  • die selbst organisieren wollen, auf welche Art und Weise sie zusammenlebenwollen
  • die durch soziales Miteinander der Einsamkeit entkommen und Isolation vermeiden wollen
  • die eigenverantwortlich und vorausschauend die Grundlage schaffen wollen für Selbstbestimmung und Lebensfreude im Alter

Diese Überlegungen finden ihren Ausdruck in einer Anzeige, die im Juni 2001 in der örtlichen Tageszeitung erscheint:

Anders wohnen - Mitbewohner gesucht

Zeitungsanzeige in der DWZ in Hameln

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Unsere Visionen

Erstmals im Juli 2001 treffen sich an diesem Thema interessierte Menschen, ca. 10 Personen im Alter zwischen 50 und 75 Jahren.

Alle 14 Tage finden von nun an die Treffen statt. Hier werden Motivation und gemeinsame Vorstellungen anhand eines Fragebogens entwickelt.

Zunächst finden die Treffen umschichtig bei den Teilnehmern statt, später in einem Raum der VHS Hameln.

Sie dienen dem gegenseitigen Kennenlernen, der Erarbeitung gemeinsamer Ziele und der Gestaltung von Unternehmungen.

Die nach dieser Phase bestehende Initiativgruppe aus sieben Personen formuliert Ende 2001 ein Konzept, das zur Grundlage der zukünftigen Arbeit wird.

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Was wir wollen

Ein gemeinschaftliches Wohnprojekt in Hameln, zentrumsnah gelegen.

Projektgröße:

10 bis 15 Wohnungen in einem Haus.

Raumkonzept:

Den einzelnen Nutzern stehen abgeschlossene Wohnungen unterschiedlicher Größe und Ausstattung zur Verfügung.

Gemeinsam zu nutzende Räume sind Treffpunkt für die Gruppe und dienen verschiedenen Anlässen und Funktionen.

Ein Gästebereich und Außenflächen ( Garten, Terrassen o. ä. ) ergänzen die Wohnungen.

Ausstattung:

Die Wohnungen besitzen eine Grundausstattung für barrierefreies Wohnen.

Zu jeder Wohnung gehört ein Balkon.

Die Bewohner des Projektes werden bei der Planung von Renovierung, Um- oder Neubau beteiligt.

Zusammenleben in der Gemeinschaft.

Die Mitglieder der Wohngruppe leben selbstbestimmt und mit Gemeinschaftsverantwortung.

Sie leisten sich so lange wie möglich gegenseitige Unterstützung. Bei Bedarf werden Hilfen für hauswirtschaftliche Arbeiten oder ambulante Pflege in Anspruch genommen.

Die am Wohnprojekt Beteiligten wünschen sich, in ihrer gewohnten Umgebung mit ihnen vertrauten Menschen alt zu werden.

Die Belegung und Vergabe freier Wohnungen treffen die Mitglieder des Wohnprojektes gemeinsam.

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Was wir bieten

Eine beständige, solvente Mieterschaft mit sehr geringer Fluktuation.

Die Möglichkeit zum Abschluss eines Mietvertrages über das gesamte Objekt mit einer noch zu gründenden GbR oder einem Trägerverein ( Leerstandsrisiko beim Mieter ).

Den verantwortungsvollen Umgang mit dem Mietobjekt „wie mit dem eigenen Haus“.

Die dauerhafte, sehr langfristige Vermietung.

Modellcharakter für zukunftsweisende Wohnformen.

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Grundstück- und Gebäudesuche – es ist zum Verrücktwerden!

Die Suche nach einem geeigneten Objekt gestaltet sich schwierig.

Vertreter der Gruppe führen Gespräche mit der örtlichen Wohnungsbaugenossenschaft bzw. -gesellschaft, wir stellen unsere Pläne Banken und Immobilienfirmen vor.

Wir besichtigen Altbauten, begutachten Grundstücke und werten die Immobilienanzeigen aus.

Wir nehmen Kontakt auf mit der Bundesvermögensverwaltung, denn ein stadtnahes Kasernengelände war freigeworden.

Wir besuchen Ratssitzungen und präsentieren unser Gruppenvorhaben auf einer Beranstaltung von Bauinteressenten.

Eine große Hilfe ist dabei die Mitarbeit eines Architekten, der sich der Gruppe als Berater anschließt.

Nach erfolglosen Bemühungen suchen wir Ende 2002 über ein Inserat einen privaten Investor:

Es ist gar nicht so leicht, den passenden Investor zu finden

Baugruppe sucht. Und sucht. Und sucht.

 

Auf diesem Wege finden wir einen Bauunternehmer, der bereit ist, sich mit den Vorstellungen der Projektgruppe auseinanderzusetzen und Mietwohnungen für uns zu bauen.

Die vielfältigen Gespräche und Planungen führen Ende 2003 in eine Sackgasse, weil sich für den beabsichtigten Standort nicht genügend Interessenten finden.

Eine unverhoffte Wendung bekommt unser Gruppenvorhaben, als ein Mitglied der Initiative einen Neubau an dem von Anfang an favorisierten Standort – dem Gelände der ehemaligen Scharnhorst-Kaserne – vorschlägt.

Seit März 2004 liegt ein Entwurf unseres Architekten als Basis für die individuellen Wohnungplanungen und die Kostenplanung des Investors vor. Zum geplanten Haus gehören 13 barrierefreie Wohnungen, ein Gemeinschaftsraum, zwei Gästeappartments, ein Wasch- und Trockenraum, ein Hobbyraum sowie gemeinschaftlich nutzbare Gartenflächen.

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Yippiiiieeh, wir bauen!

Die „Wohngruppe Scharnhorst“ ( so unser Arbeitstitel ) wird als Gesellschaft bürgerlichen Rechts das projektierte Gebäude mit 13 Wohnungen und allen Gemeinschaftsflächen gemeinschaftlich als Hauptmieter mieten.

Die einzelnen Wohnungen werden sodann von der GbR an die einzelnen Mieter untervermietet. Damit stellen wir sicher, dass freiwerdende Wohnungen mit Mietern belegt werden können, die die Gemeinschaftsziele bejahen und zu den übrigen Bewohnern passen. Für die Nachhaltigkeit des Projektes ist es außerordentlich wichtig, eine Altersstreuung von mindestens 25 Jahren zu erreichen.

Zur Zeit sind die zukünftigen Bewohner zwischen 54 und 81 Jahren alt; die Aufnahme jüngerer Menschen bei Fluktuation ist jederzeit möglich und wünschenswert.

Der Bau „unseres Hauses“ wurde im Sommer 2004 begonnen und ist im September 2005 bezugsfertig. Das Wohnprojekt liegt in einem neugeschaffenen Stadtteil auf dem ehemaligen Kasernengelände in unmittelbarer Nähe der Stadtmitte.

Alle Einrichtungen des täglichen Bedarfs und sonstiger Infrastruktur sind auf kurzen Wegen zu erreichen.

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Wir lernen uns kennen. Manchmal mehr als uns lieb ist.

Bis zum Einzug, und auch danach, wartet viel Arbeit auf uns:

Der vertragliche Rahmen in Form von GbR-Vertrag und den Mietverträgen will erarbeitet und ausgehandelt werden. Außerdem muß die Hausgemeinschaft Strukturen und Regeln für das Miteinanderwohnen finden und ausprobieren.

Das erfordert von allen Beteiligten die Bereitschaft zu Engagement und Toleranz.

Ebenso Kommunikationsbereitschaft und Interesse an solidarischem Umgang miteinander.

Unsere bisherigen gemeinschaftlichen Erfahrungen machen uns Mut, daß wir auch diese neuen Herausforderungen bewältigen.

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Und jetzt das Allerwichtigste: Wir reden darüber

Die bisherige Arbeit haben wir als Selbsthilfe organisiert und ausschließlich ehrenamtlich geleistet. Zum Teil mit erheblichem finanziellem Einsatz – Anzeigen, Honorar für Architekt und Rechtsanwalt.

Daß dabei ein langer Atem notwendig ist, war uns von Anfang an bewußt.

Für unsere zukünftige Arbeit – und die Arbeit vieler anderer Initiativen, die sich auf diesen schwierigen Weg begeben – wünschen wir uns mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung bei den kommunalen Entscheidungsträgern und Wohnungsbauunternehmen.

Denn dieses soziale Netzwerk sichert Selbst- und Nachbarschaftshilfe, fördert den Austausch zwischen den Generationen und Menschen unterschiedlicher Biographien sowie Erfahrungen.

Inzwischen haben wir in Zusammenarbeit mit der VHS Hameln Informationsabende veranstaltet und Seminare organisiert. Informationsmaterialien werden gedruckt und wir bieten Gesprächsabende oder die Teilnahme an unseren monatlichen Wanderungen an.


Sie haben Ähnliches erlebt? Oder ganz Anderes?

Wer möchte sich mit Gisela Möres austauschen? Wer sucht Hilfestellung um die eigenen Schwachstellen zu vermeiden? Hier ist die Möglichkeit zum Kontakt.

Astrid Engel