Im Mai 2017 hat das Wohnkollektiv kleinefreiheit e.V. sein neues Domizil bezogen: ein Nachbarschaftshaus im Pestalozzi-Quartier, einem ehemaligen Schulareal im Hamburger Szene-Stadtteil St. Pauli. Da ist es an der Zeit, mal zurückzublicken. Nämlich auf die siebenjährige Planungs- und Bauphase, die die fünfzigköpfige Baugruppe hinter sich hat. Was lief gut? Was war schwierig? Und wie zufrieden sind die Bewohner jetzt mit dem Ergebnis? Christiane Capps, Koordinatorin für die Öffentlichkeitsarbeit der Baugruppe, hat uns im Interview Rede und Antwort gestanden. Und vieles berichtet, das Baugruppen vom Hamburger Projekt lernen können.


Christiane Capps, Sprecherin des Nachbarschaftshauses Wohnkollektivs kleinefreiheit, Hamburg-St. Pauli

Christiane Capps, Sprecherin des Wohnkollektivs kleinefreiheit, Hamburg-St. Pauli

Christiane, wie habt Ihr dieses fantastische Grundstück mitten auf St. Pauli gefunden und erobert?

Die Kerngruppe bestand zu Beginn aus einigen Bewohnern des Buddhistischen Zentrums hier im Quartier. Sie erlebten mit, dass das Schulgelände neu entwickelt werden sollte für Wohnnutzung und bewarben sich bei der zuständigen Stattbau Hamburg mit einem Konzept für nachbarschaftliches und soziales Wohnen. Und sie bekamen nicht den Zuschlag. Drei Jahre später jedoch haben die damaligen Gewinner ihre Bewerbung für frei finanzierten Wohnungsbau wegen mangelnder Rentabilität zurückgezogen und das Wohnkollektiv versuchte erneut sein Glück, diesmal erfolgreich.

In welcher Rechtsform habt Ihr Eure Anfänge organisiert?

Bis 2014 war die Gruppe ganz schlicht eine GbR. Zu dem Zeitpunkt bestand noch der Plan, eine eigene Genossenschaft zu gründen. Im Verlauf des Projekts entschieden wir uns dann aber, einen Verein zu gründen. Der ist nun Hauptmieter bei der Schanze eG. Auf diese Weise können wir als selbstverwaltetes Projekt innerhalb der Schanze eG eigenständig agieren, ohne die Risiken allein schultern zu müssen.  Genauer: Wir mussten nicht die gesamte Verantwortung für die Kosten des Projektes tragen. Als Bauherr ist die Dachgenossenschaft Schanze eG aufgetreten. Alle, die sich je für das Projekt engagierten, zahlten selbstverständlich ein Startkapital in die GbR-Kasse in Höhe von 250 Euro. Dieser „Topf“ besteht weiterhin: Wenn zukünftig Mieter im Projekt wechseln, zahlen die Neuen auch diesen einmaligen Betrag. Außerdem kauft jede/r Mieter/in Genossenschaftsanteile je nach Wohnungsgröße. Aus dem Vereins-Topf werden nun gemeinschaftliche Anschaffungen finanziert, in der Einstiegsphase haben wir daraus erste Arbeiten, Infomaterial, Feste und Ähnliches bezahlt.

Welcher Arbeitsabschnitt war der Anspruchsvollste? War es eher die Gründungsphase? Planung? Finanzierung?

Die MItglieder haben sich zahlreiche Grundstücke angesehen und bewerten müssen – da waren sie als Laien stark gefordert. Wir mußten ein Budget festlegen – Himmel, wie geht das? Wir sollten als Baugruppe zusammenwachsen – auch nicht leicht!

Dazu kam die lange Phase der Planung durch die Architekten: ein ständiges Hin und Her, weil das Projekt in der im Vorfeld (ohne uns) geplanten Form nicht finanzierbar war. Es war ursprünglich nicht für den sozialen Wohnungsbau, sondern für den freien Wohnungsmarkt gedacht. Die ersten Detailplanungen und Berechnungen der Architekten machten deutlich, dass die drei Gebäude so für uns nicht realisierbar sind. Es folgten sehr lange Verhandlungen mit den Behörden, mit dem Ziel den Bau weniger aufwendig zu gestalten. Ein großer, kostenintenisver Anbau etwa fiel weg. Das ging über sehr viele Monate. Wir waren sehr erleichtert, als schließlich die Genehmigung zur Änderung einiger Rahmenbedingungen vorlag. Nur musste daraufhin Vieles neu geplant werden, wodurch zusätzliche Architektenkosten entstanden.

Ebenso schwierig war es mit der Tiefgarage. Wir waren von Anfang an verpflichtet sie zu bauen, obwohl die Finanzierung im Budget des sozialen Wohnungsbaus das eigentlich nicht hergab. Es brauchte Monate, bis wir nach dem Bekanntgeben einer neuen Stellplatzverordnung und langen Verhandlungen von der Tiefgarage befreit wurden – wieder mussten die Pläne überarbeitet werden, wodurch erneut zusätzliche Honorarkosten entstanden.

In vielen Phasen der Planung herrschte eine große Unsicherheit, ob das Projekt sich je realisieren ließe und ob vielleicht sogar unser gezahltes Eigengeld (welches bereits in der Planungsphase verbraucht wurde) einfach weg wäre. Außerdem die fehlende Klarheit, was durch Fördermittel abgedeckt ist und was nicht.

Die leidtragendsten Personen der Baugruppe waren definitiv die Mitglieder des Vorstandes: Sie haben extrem viel Zeit aufgewendet, um sich in die Materie hineinzuarbeiten und als kompetente Gesprächspartner unsere Interessen zu vertreten. Überhaupt haben sich alle Mitglieder der Baugruppe über Jahre hinweg mindestens zweimal im Monat getroffen. Zeitweise auch wöchentlich.

Wo habt Ihr die schönste Unterstützung erhalten?

Erstens ist da definitiv die schier unerschöpfliche Hilfsbereitschaft in der Bauverwaltung zu nennen. Die Menschen dort sind uns immer entgegengekommen, es gab eine tolle Gesprächsbereitschaft. Und zweitens als ein halbes Jahr vor Baubeginn die Stellplatzverordnung in Hamburg fiel. Hurra! Mit einem Mal brauchten wir uns über Tiefgaragenplätze keine Gedanken mehr machen.

Gab es Ideen, auf die Ihr verzichten musstet im Laufe der Planung?

Unsere Gemeinschaftsflächen sind geschrumpft. Und leider: Ein Gästeappartment gibt es bei uns nicht. Außerdem hat eines der drei Häuser keine Balkone. Dafür wurden die Bewohner mit einer begrünten Dachterrasse entschädigt, die allerdings alle nutzen können.

Was habt Ihr deutlich unterschätzt?

Erst spät wurde uns bewußt, wie gewaltig das finanzielle Risiko ist. Schließlich ging es um ein Bauvolumen von rund 7 Millionen Euro. Die ganze Finanzierungskonstruktion war eigentlich ziemlich wackelig, erst echt für ein sozial gefördertes Projekt. Jetzt wissen wir, wieviel Mut es braucht gemeinsam zu bauen.

Was kostet es monatlich, diese kleine Freiheit zu haben?

Über die Basiskosten haben wir ja oben bereits gesprochen. Dazu kommt die monatliche Miete, je nach Fallgruppe der Wohnung. Außerdem pauschal 2,50 Euro pro qm Wohnfläche für die Gemeinschaftsflächen, Mietausfall, Fahrstuhl, Gemeinschaftsstrom sowie einen Vereinsbeitrag in Höhe von 5 Euro pro Person

Wieviele Parteien wohnen in dem Kollektiv? Und wie ist die Altersstruktur?

Es gibt 28 Wohneinheiten, allesamt sozial geförderter Wohnungsbau, verteilt auf drei Gebäude. Lediglich die Wohnungen im siebengeschossigen „Turm“ sind barrierefrei und die Wohnung für eine vierköpfige Familie mit Beeinträchtigungen. Die ältesten Kollektivisten sind im Rentenalter. Unser jüngstes Mitglied ist hier kurz nach dem Einzug geboren worden, insgesamt eine eher junge Bewohnerschaft.

Vorfreude bei den künftigen Bewohnern: Es wird wahr! Richtfest des Nachbarschaftshauses Wohnkollektiv kleinefreiheit am 22. Juli 2016

Vorfreude bei den künftigen Bewohnern: Es wird wahr!
Richtfest des Nachbarschaftshauses kleinefreiheit am 22. Juli 2016

Wie organisiert Ihr das Zusammenleben?

Vor dem Einzug: Erstens, wenn sich mehrere für eine Wohnung interessierten, entschied das Los. Zweitens: Schon lange existieren eine ganze Menge Arbeitsgruppen – für alles mögliche. In einem selbstverwalteten Projekt ist ja immer was zu tun. Diese Gruppen erarbeiten intern Entscheidungsvorlagen, die dann im Plenum besprochen bzw. beschlossen werden. Unsere aktuellen AGs kümmern sich um die Verwaltung, Hausmeistertätigkeiten, Protokolle und Dokumentationen, das Thema Nachhaltigkeit und wir haben natürlich auch eine Party-AG. Drittens: Die wichtigste Arbeitsgruppe von allen ist die, die alle Gruppen koordiniert.

Wie funktioniert die Zugangskontrolle auf das Gelände?

Es gibt gar keine!

Wo deponiert Ihr Fahrräder? Kinderwagen? Rollstühle?

Für etwa dreißig Fahrräder haben wir einen abschließbaren Raum im Hof, zusätzlich gibt es noch einen überdachten Platz und jede Menge offene Stellplätze. Die Kinderwagen kommen ganz lebensnah in den Hausflur oder in den eigenen Kellerraum.

Wie geht Ihr mit schwierigen Situationen um? Habt Ihr das vor dem Einzug bereits festgelegt?

Da der Verein Hauptmieter für alle Flächen ist, haben wir einen Fond für das Mietausfallrisiko angelegt. Da ist eine beträchtliche Summe drin, das hat Kraft gekostet sie aufzubringen. Und sonst? Es ist eine deutliche Herausforderung. Der Umgang muss sich erst noch entwickeln. Wir haben jedenfalls schon mal professionelle Moderation bei einem Konflikt in Anspruch nehmen müssen und wir wissen jetzt, dass es Themengebiete gibt, die besser privat bleiben.

Einiges ist in unserer Vereinssatzung und in dem Nutzungsvertrag mit der Schanze eG festgelegt.

Wie werden Entscheidungen als Hausgemeinschaft getroffen?

Es gilt die Mehrheitsentscheidung innerhalb des Vereins. Jede Wohnung hat eine Stimme, die nicht übertragbar ist. Nur die Anwesenden zählen. Diese Regelung gibt es noch nicht so lange. Unser altes System gaben wir auf, als wir merkten, wie unpraktisch es ist.

Habt Ihr auf eine soziale Durchmischung der Nutzer geachtet?

Die Einstufung der Fallgruppe ( Was sind Fallgruppen? Es gibt drei Formen des sozialen Wohnungsbaus: Die Grundlage bildet § 88d II. WoBauG – Anmerkung der Quartierplaner ) bei Erstbelegung der Wohnung ist verbindlich für die Laufzeit der Fördermittel. Und damit ist die Durchmischung per Förderrichtlinie festgelegt. Es gibt keine weiteren Bindungen.

Wie häufig tauscht Ihr Euch mit anderen Initiativen aus?

Der vierteljährliche „Schanzentisch“ ist ein Treffpunkt für die Initiativen, die in unserer Dachgenossenschaft Mitglied sind. Dort profitieren wir sehr vom Austausch und den Erfahrungen anderer Projekte.

Was läuft hier fabelhaft?

Jeder kennt jeden. Das ist ein tolles soziales Miteinander. Die Gruppe mag sich. Und die Kinder können einfach die Wohnung verlassen zum Spielen, hier gehen sie nicht verloren. Alle achten aufeinander.

Was ist Dein grösster persönlicher Gewinn, seit Du eingezogen bist?

Das Wohngefühl. Wir nennen unser kleines Gelände intern unser „Dorf“. Genau so fühlt es sich auch an. Im besten Sinne des Wortes.

Was würdet Ihr bei der nächsten Planung anders machen?

Nix. Oder doch: Wir würden uns mehr Anteilnahme an der architektonischen Planung wünschen. Das ist echt zu kurz gekommen.

Und: ruhiger bleiben. Unsere Baubetreuer haben uns in schwierigen Zeiten immer wieder versichert: „Am Ende stehen alle Häuser, haben Wände, Fenster und Dächer und Ihr zieht ein.“

Was war für Dich persönlich das schönste Erlebnis nach dem Einzug?

Wir wurden von strahlendem Sonnenschein geweckt. Dazu muß man wissen: Vorher wohnten wir im Erdgeschoss eines dunklen Gründerzeithauses. Die umgebende Bebauung ist dort so dicht, dass in unserem Schlafraum wenig Sonne ankommt.

Vielen Dank für das Gespräch, Christiane, und viel Erfolg weiterhin in und mit Eurem tollen Nachbarschaftshaus!

Das Gespräch mit Christiane Capps fand am 1. August 2017 in Hamburg statt. Die Gebäude des Wohnkollektivs stehen in 22767 Hamburg, Kleine Freiheit 70-76 (Link zur Karte). Weitere Informationen zum Bauprojekt gibt es auf der Website des Wohnkollektivs kleinefreiheit e.V., zu der es hier geht.

Astrid Engel